Computerspiele (Computerspielsucht)
In den Beratungsgesprächen wird oft deutlich, wie tief und einschneidend der erste Kontakt mit einem Computer in früher Jugend erlebt wurde. All das, worauf gerade Jungen in der Adoleszenz hoffen: eigene Entscheidungsräume, Unbekanntes, Herausforderndes, Abenteuer, die Möglichkeit, seine Kräfte zu entwickeln und seinen Verstand zu schärfen, Wettstreit, Anerkennung und der Ausbau von Macht als Beweis eigener Omnipotenz, ist in der virtuellen Welt zu finden.

Die präsenten spürbaren Bedürfnisse können durch einen einzigen Knopfdruck so umfassend, bequem und risikofrei gestillt werden, dass ein als natürlich empfundener Drang entsteht, so oft wie möglich das Medium zu nutzen.
In der Anfangsphase einer intensiven Nutzung wird dieses von der Umwelt – in erster Linie den Eltern oder anderen Angehörigen – positiv begleitet. Sie sind erfreut über die neuen Erfahrungen ihres Kindes durch den Umgang mit moderner Technik. Sie hinterfragen kaum, welche Spiele in welchem Umfang mit welchen Spielintentionen genutzt werden. Erfolge im Spiel stellen sich ein, die relevante Internetgemeinde wird zum zweiten, einem virtuellen Zuhause.
Die Angehörigen der ersten Heimat ändern jedoch scheinbar plötzlich ihre positive Haltung, verlangen eine Reduktion der Bildschirmzeiten und die Erfüllung repressiver Aufgaben, drohen sogar mit einem Entzug der selbst erworbenen Technik. In einfühlsamen Familien gelingt den Angehörigen, ihren Sinneswandel dem Computerspieler rational nachvollziehbar darzustellen. Die intensiv erlebte Bindung an das virtuelle Handeln kann dies jedoch oft nicht lösen, es entstehen massive Konflikte bis hin zum Kommunikationsabbruch. Der fast vollständige Rückzug in virtuelles Agieren erscheint dem Betroffenen paradoxerweise mitunter als einzig mögliches Mittel, um die Familie nicht auseinanderbrechen zu lassen.
Die anfänglich positive Wahrnehmung der Computeraffinität ihres Kindes gewinnt für viele Eltern auch durch den Umstand an Attraktivität, dass es sich scheinbar jederzeit ausdauernd selbst beschäftigen kann und damit Freiräume und Entlastungsmomente für die Erziehungsverantwortlichen geschaffen werden.
Irritiert wird die positive Haltung zunächst durch die Veränderung familiärer Kommunikation. Der Jugendliche tritt zunehmend aggressiver und fordernder auf und ist im Gegenzug immer weniger bereit, seinen schulischen oder Haushaltspflichten nachzukommen. Er fordert die Beachtung seiner Privatsphäre und Autonomie massiv ein: er verschließt mitunter sein Zimmer und entscheidet sich immer öfter gegen die Teilnahme an gemeinsamen Mahlzeiten oder Aktivitäten.
Die permanente Computernutzung wird zum stetigen Ausgangspunkt von Diskussionen, die nicht selten in gegenseitigen Vorwürfen enden. Unterschiedliche Standpunkte der Eltern erhöhen das Konfliktpotential. Die Persönlichkeit des Jugendlichen scheint sich in einer ungünstigen Weise zu verändern.
Signalisiert die Schule zudem, dass die Leistungen sich in mehreren Unterrichtsfächern verschlechtert haben und das Auftreten des Schülers gegenüber Lehrern und Mitschülern unangemessen – überheblich und aggressiv - sei, kann das zu Empfindungen großer Hilflosigkeit bei den Eltern führen. Diese wird durch unentschuldigte Unterrichtsfehlzeiten ausgelöste Zukunftsängste weiter genährt. Eltern – vornehmlich Mütter – sehen durch die nun permanent und massiv auftretenden Konflikte die Familie gefährdet und ihre bisherige Erziehungsarbeit in Frage gestellt. In dieser Grundstimmung verschärfen sich die Auseinandersetzungen.
Naturgemäß enthalten diese auch die entwicklungstypischen Konflikte wie das gesunde Streben nach Autonomie und die Ablösung vom Elternhaus. Die wahrgenommene Einseitigkeit der Computernutzung bei Vernachlässigung vieler Aufgaben und zunehmender Isolation – auch bezüglich eines real aktiven Freundeskreises – lässt sie jedoch entarten.
Für Eltern ist es kaum nachvollziehbar, warum sich der Jugendliche quasi plötzlich den Herausforderungen der Welt entzieht und damit die Chance auf Erfolg, Anerkennung und eine erfüllende Zukunft verwirft. Stattdessen scheint er sich selbst einzusperren und vor einem flimmernden Plastikkasten festzusetzen.
Lehrern könnten Pausen- oder Unterrichtsgespräche auffallen, die sich ausschließlich mit dem Computerspiel- bzw. Internethandeln nach der Unterrichtszeit befassen. Trotz überdurchschnittlicher Intelligenz können sich viele exzessiv Computerspielende kaum über längere Zeit auf den Unterrichtsstoff konzentrieren. Vor- oder nachbereitende Aufgaben für Zuhause bleiben oft unerledigt, viele Unterrichtsinhalte werden immer wieder nachgefragt, da sie i.d.R. nicht verinnerlicht wurden.
Die Leistungen vieler Schüler variieren innerhalb eines Schuljahres mehr oder weniger. Nicht jede Änderung kann bzw. sollte hinterfragt oder mit den Eltern diskutiert werden. Verschlechtern sich die Leistungen eines Schülers innerhalb weniger Wochen oder Monate allerdings in mehreren Fächern, könnte der Klassenlehrer die Eltern zu einem Gespräch bitten. Falls sich in dem betrachteten Zeitraum eine intensive Internetnutzung etabliert hat, könnte auf die langfristigen Folgen hingewiesen werden. In extremen Fällen sollte den Eltern angeboten werden, zu einem nächsten Gespräch einen Berater einzuladen, um sich über mögliche hilfreiche Schritte auszutauschen. Die Häufung unentschuldigter Fehlzeiten eines Schülers sollte in jedem Fall zu einem zeitnahen Elterngespräch führen.
Um mögliche Anzeichen ungünstiger Entwicklungen im Zusammenhang mit der Nutzung von Bildschirmmedien erkennen zu können, ist es für Lehrer und Eltern sinnvoll, an entsprechenden Präventions- oder Informationsveranstaltungen teilzunehmen oder sie zu organisieren.
(siehe auch Kurzcheck Mediensucht)